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Die Confectionali von Salerno

Wie der Zucker nach Europa gelangte

Wie der Zucker nach Europa gelangte, ist eine Geschichte für sich , so kompliziert und umständlich wie vieles von dem , was man aus ihm dann herstellte. Man kann drei Stoßrichtungen oder Flankenbewegungen unterscheiden. Eine Bewegung erfolgte von Osten her. Dort belagerten 1683 Türken Wien und brachten die Novität aus de Orient mit, wo Zuckerrohr schon in der Antike kultiviert worden war.

Eine Reihe süßer Gwbäcke erinnert im benachtbartem Donauland noch immer an jene Tage; so der Guglhupf der mancherorts >> Türkenbund << heißt und dessen >> Bund- Form << der des Turbans nachempfunden sein sol.

Eine zweite Bewegung erfolgte von Westen her, über die Meere, von wo das Zuckerrohr mit dem Welthandel kam - hauptsächlich von den Kanarischen Inseln. Die großen Hafenstädte wurden zu Metropolen des Zuckerhandels, aber auch selbst zu Zentralen der Zuckerbäckerei. Nicht umsonst sind die Hansestädte Lübeck und Königsberg für ihre Marzipanerzeugnisse weltberühmt.

Der weitaus wichtigste Zugangsweg aber war der von Süden her, über Spanien und vor allem Sizilien, welches um 800 von sarazenischen Invasion erobert und zu einem der reichsten Nutzländer der Erde hochgehätschelt worden war. Die 400 Jahre arabischer Herrschaft in Sizilien, sind überhaupt einer der wesentlichsten Antriebe für die Entwicklung der Kochkunst und vor allem des süßen Speise- Kanons der abendländischen Küche gewesen.

Noch heute ist die Architektur dieser Mittelmeerinsel von arabischen Erinnerungen ebenso erfüllt, wie der wahrhaft wunderbare Gestalten-Reichtum der Dolci in den omnipräsenten sizilischen Pasticcerias. Die Zuckerbäckerei hat sich von Sizilien her über ganz Europa ausgebreitet.1225 entwickelte eine Ärzteschule in Salerno süße  Dragees nach arabischen Muster. Die Hersteller 

nannten sich >> confecionsali<< und ihr Erzeugnis, von dem sich sprachlich das >> Konfekt << herleitet wurde zu einem ersten Mode- Schlager der neuen Kunst. Die Araber hatten dem neuen Berufsstand vorgeführt, was man mit diesem neuen Stoff alles machen kann.

Der 965 gestorbene Dichter Al Mutanabi erhielt für ein besonders gelungenes Gedicht einen aus Mandeln und  Zucker geformten Fisch.,der in einem Honigbad angerichtet war. Die Geburtstunde der unsäglichen Hochzeitstorte ,jemes Paradebesipiels der Ästheten der Backstube, schlug im Jahr 1087 bei der Eheschließung des Kalifen Bearitale Maskadi. Bei dem Beschneidungsfest  eines türkischen Prinzen zogen 1580 die Sutaninnen >> im Geleit des Zuckerwerks << ein: Sinnbild ihrer erotischen Süßigkeit.

Zucker ermöglichte Formgebung von ungeahnter Differenziertheit, unvergleichbar denen jedes anderen eßbaren Materials . Die Resultate der Klosterküche verblassen daneben, niemals hätte sich mit zähflüssigen Honig auch nur annähernd derselbe Effekt erzielen lassen. Auch brauchten die neuen Gebilde nicht gebacken zu werden .

Der eigentliche Werkstoff des Zuckerbäckers bestand freilich nicht aus Zucker allein: Zucker war si hart, daß ursprünglich nur der

Bildhauer damit umgehen konnte. Doch die Zuckerbäcker entdeckten ein Bindemittel das den Zucker geschmeidig machte: Tragant.

Zur damaligen Zeit war der Stoff in Apotheken als Arzneimittel erhältlich und half unter anderem gegen Seitenstechen. ( Heute gilt Tragant als Teuerstes Pflanzengummi und wird nur zu medizinischen zwecken verwendet)! Dieser aus Bocksdorn, einen orientalischen Strauch, gewonnene Saft wurde einem Brei aus feinstgestoßenem  Zucker und Wasser zugesetzt. Dadurch entstand eine  modellierbare Masse in der Festigkeit ähnlich dem Marzipan die nach de Verarbeiten beim Trocknen steinhart wurde. Die kühnsten Ornamente, Verzierungen und Aufsätze konnten damit von Zuckerbäckern gefertigt werden. 

Oft waren diese Erzeugnisse gar nicht zum verzehr bestimmt, doch im Gegensatz zu heute, wurde früher mit Tragant hergestellte

Kunstwerke auch gegessen.

Dieses Ausgangsmaterial erlaubte neuartige Verarbeitungstechniken, welche den Zuckerbäcker tatsächlich weit über andere Handwerker hinaushoben.

Listenreich  hergestellter Spinnenzucker ermöglichte die Fertigung naturgetreuer Wasserfälle. Die äußerst filigrane Technik des Zuckerblasens der Glasbläserei nahe verwandt, ergab feinste Nachbildungen von Spiegeln, Flaschen und Gläsern.  Sie wurden am Anfang dieses Jahrhunderts zu einem kuriosen Nebenzweck verwendet: in den früheren Wildwestfilmen waren sämtliche gläsernen Requisiten, wie Bierseidel, Whiskyflaschen, Saloon- Spiegel und dergleichen aus Zucker geblasen- damit sich die Helden damit gefahrlos bewerfen konnten, wenn es zur unvermeidlichen Saalschlacht kam.

Ein weiteres ebenso neuartiges Material ergänzte die Gegenstände des zuckerbäckerlichen Schöpferdrangs.

Der Welthandel brachte die Schokolade nach Europa, das aztekische >> xocolat << das schnell nicht nur zum Modegetränk des Adels avancierte. Es wurde auch zum äußerst heiklen Werkstoff der Konditoren die daraus nach exakten metrischen Zeichnungen die Aufsätze spritzten und mit größter Behutsamkeit zu Prachtbauten verfugten Kakaomalerei des

19. Jahrhunderts ist womöglich ein noch differenziertes  Feld der Ornamentierung. Mit Hilfe einer verblüffenden Schattirungstechnik gelang nun die realistischen Darstellungen von Jubilaren , Geburtstagskindern, Hochzeitspaaren, Firmenchefs und Staatspräsidenten, Jahreszahlen und Initialen,  Wahrzeichen und Souvenirs, Pavillons, Amphoren, Wappen und Paläste nichts war den Konditoren unmöglich.

Selbstredend ließ sich der Zucker auch mit alten, überlieferten Materialien und den Techniken ihrer ihrer Verarbeitung kombinieren. Das Marzipan, das selbst Zucker enthielt , wurde zu einem der hervorragendsten Medien der neuen Kunst.>> Denn wer den Marcepan wol machen kan, der kan allerhand Sachen machen, so der Mensch erdencken kan <<, wußte Rumpolt schon vor 1600.

Und das scheint die größte Sorge der Zuckerbäcker aller Zeiten gewesen sein. Ihre Erzeugnisse dienten der Zerstreuung und Repräsentation. Der verblüffende Gag , das unmöglich Scheinende und dennoch Gelingende der Pomp auch, das unsägliche und  bisweilen Groteske schien  nachgerade  die Grundlage ihrer Existenz.

Sie funktionieren im  Dienste einer Kundschaft die nach dem Erdenklichen und noch mehr dem Unerdenklichen oftmals geradezu bysterisch verlangte.

Zum Eindruck- Schinden hatten ja die Kuchen, hatte das Brot bereits von jeher dienen müssen. >> Panem et Circense <<  ( Brot und Spiele) versprachen die römischen Staatenlenker ihrem Volk, wenn sie sich besonders beliebt machen wollten . Schien  dieses Vorhaben aber aussichtslos, so verabreichen sie Kuchen, statt Brot.

Waren schon die Kuchen ohne Rohrzucker <mittel der Repräsentation, um wieviel mehr mußten dann doch die Kunstwerke der Zuckerbäcker überzeugen! Allein schon deshalb, weil der Zucker , den sie verwendeten, so traumhaft teuer war, daß seine ausschweifende Verwendung ein gefühl der verschwenderischen Überfülle erzeugen musste.

Wenn so König und Fürst ganze Säle mit den Herrlichkeiten seiner Zuckerbäckerausstaffieren ließ, so konnte die gewünschte Wirkung der Werbung für sein System nicht ausbleiben.

Noch die offizielle Geburtstagstorte zum 250. Jubeltag der U.S.A. war 10 m hoch und wog nicht weniger als 350 zentner. Ein Nichts - verglichen  mit den Manifestiatonen zuckerbäckerlicher Vollendungswonne auf den Hoffesten vergangener Zeiten

In Gotik, Barock und Renaissance kannte nahezu jeder Hof ein spezielles Hofamt, welches für Konzeption und Durchfürhung solcher Feste war; den berühmten >> Maitre de plasier<< . Ihm unterstand eine ganze Armee von Helfern, von denen die Zuckerbäcker nur ein Teil waren, so bedeutend ihre Zahl auch war. Die bedeutendsten Künstler des Abendlandes zeichneten verantwortlich für die Inszinierung ein Jan van Eyckin Burgund, ein Leonard da Vinci bei den Sforza in Mailand. Bildhauer und Architekten, Maler wie Graveure, Lithographen , Koloristen, Lackierer, Pappdeckelmacher, Gold und Silberschläger und sogar Seidenweber standen dem Zuckerbäcker zur Seite. Dazu kam noch das Orchester, der Hofkomponist, der Feuerwerker, das Heer der Köche, der Dichter, der Dramaturg, eine Legion an Sängern, Zwerge, Riesen, exotische Tiere,;das Fest in dessen Rahmen die süssen Sachen auftraten war ein Gesamtkunstwerk.

1604 berichtet der Korrespodent der Fugger- Zeitung über ein Bankett in Rom: >> Die herrlichsten Speisen in silbernen und vergoldeten Schüsseln und auch ander viele schöne Schaugerichte aus Zucker, Triumphpforten, Castelle, das Colloseum, Pyramiedenund allerlei Tiere - wurden aufgetragen und Gäste ausgeiteilt; >> Man ergötzte sich an Albernheiten wie den sogenannten << Vexiersachen>> täuschenden Nachbildungsaurer Speisen aus Zucker oder Marzipan: << wenn alles nach Lebens- Größe und wohl gemacht wird kann man oft einen damit betrigen>>.vermerkt Hasdorfler 1654. 

und wenn man, wie bei einer Audienz Elisabeth I. 1592 in Greenwich, hinterher das ganze Werk auch noch mit gezuckerten Pflaumen bewerfen und so dem Erdboden gleichmachen durfte , war die Stimmung dem Höhepunkt nahe.

Doch auch wenn ein Fürst oder König starb, wurde ein funebrer Pomp entfaltet, der den Stellenwert und Rang der Zuckerbäcker deutlich zeigt. Zur Tafeldekoration gehörten noch im 18. Jahrhundert aus Tragant geformte Särge .

Zur Trauerfeier des Grafen Rantzau- Breitenburg bestellte die gräfliche Familie einen 15 pfündigen von Pyramiden umrahmten Marzipansarg. Dergleichen vermochte nur die Kunst der Konditoren!

Ihr einziger Nachteil war die Vergänglichkeit der Herrlichkeiten die Konditoren wie Könige in etliche Verwirrung stürzte. Als fürchte er, daß mit dem Verzehr der zuckersüßen Prachtentfaltung auch die Macht der Vernichtung anheimfiele, rief der bayrische Primzregent Luitpold angesichts eines herrlichen Tafeldesserts erschrocken aus: << Eßt´s mir´s ja ned auf !>>

Er muß schon geahnt haben,  daß es einmal aus sein würde mit der Macht und Herrlichkeit der feudalen höfe,

Die Monarchie fuhr hin - aber die Zuckerbäckerei blieb bestehen. Denn auch die Bürger die nich selten königlicher als die Könige leben wollten, welche sie beseitigt hatten, bedurften ihrer Werke auf das Dringlichste. Wie einst die Fürsten nach prunkvollen Darstellungen von Ehrensäulen, Triumpfwagen, ihrerKurtisanen verlangt hatten, verlangte jetzt die neue Kundschaft i h r e triumpfe zu bestaunen.

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